Das Brandobjekt im Jahre 1983 : Das „Dorint-Hotel“, Hamelns größtes Hotel, wurde in den Jahren um 1970 erbaut und besteht aus Kellergeschoss, Erdgeschoss sowie neun Obergeschossen und darüber befindlichen Technikräumen. Im Keller befindet sich eine Tanzbar, im Erdgeschoss sind im wesentlichen ausser der Empfangshalle Küchen und Wirtschaftsräume, ein Selbstbedienungs-Restaurant, ein Speiserestaurant sowie Büroräume untergebracht. Außerdem wird dort ein Frisörsalon betrieben, dessen Räume zur Brandzeit vom Hotel nicht brandschutztechnisch getrennt waren.
In allen Obergeschossen sind Appartements (Hotelzimmer und Nasszelle) sowie zusätzlich im 9. Obergeschoss eine Wohnung untergebracht. Jedes Appartement hat einen eigenen Balkon. Über den Restaurationsräumen befinden sich Tagungsräume. Außer einer notwendigen Treppe im eigenen Treppenraum führt eine offene Treppe zum einen von der Eingangshalle zur Bar im Keller, zum anderen zu den Tagungsräumen im Obergeschoss. Ein Innenhof ist von der Eingangshalle aus erreichbar. Die Kapazität des Hotels liegt bei 156 Betten. Der einzige durchgehende Treppenraum war durch den Brand von den Geschossfluren her derart verqualmt, dass er, wie auch die Geschossflure selbst, für eine ungehinderte Benutzung durch die Hotelgäste in der Anfangsphase ausschieden. In diesem Treppenraum befindet sich eine Trockene Steigleitung mit Entnahmeeinrichtung in jeder Geschossebene; im Erdgeschoss, 5. und 9. Obergeschoss sind Auslösemechanismen für eine Rauch- und Wärmeabzugsanlage angeordnet, und in jedem Geschoss dieses Treppenraumes befindet sich ein Druckknopf-Feuermelder. Der vom Treppenraum unmittelbar ins Freie führende Notausgang in der Strasse „164er Ring“ war zur Brandzeit verschlossen und aussen weitgehend durch Ziersträucher verdeckt, was allerdings den Einsatzablauf nur bedingt beeinflusste, da der Treppenraum ohnehin wegen der nachstehend geschilderten Verqualmung unbenutzbar war. Neben dem Treppenraum sind zwei Aufzüge im eigenen Schacht angeordnet. In den Geschossfluren gab es bis zum Brande keinerlei Abtrennungen.
Die einzelnen Geschosse verspringen terrassenförmig (siehe Bild).
Der Haupteingang liegt in einer verkehrsberuhigten Strasse (Von-Dingelstedt-Strasse), die durch das Aufstellen von Pflanzkübeln bewusst zur Sackgasse gemacht wurde.
Das Hotel ist zwar brandschutztechnisch getrennt, aber baulich verbunden zur einen Seite mit dem „Grossen Haus“ (Theater Hameln mit Vollbühne) und dem „Kleinen Haus“ (Versammlungsraum mit Kleinbühne) der „Weserbergland-Festhalle“, zur anderen Seite mit dem Komplex „Bellevue-Center“. Bei letzterem handelt es sich um mehrere miteinander verbundene Hochhäuser, in denen erdgeschossig u.a. Läden, Gaststätten, Arztpraxen und ein Hallenbad, in den Obergeschossen Arztpraxen und Wohnungen untergebracht sind. In dem Hochhaus unmittelbar neben dem „Dorint-Hotel“ wird ein Seniorenstift mit Alten- und Pflegeheim betrieben, das in zwei Obergeschossen in Pflegestationen mit Schwerstkranken (u.a. Querschnittsgelähmte, beidseitig Beinamputierte) belegt ist. Innerhalb aller dieser Baukörper bestehen fußläufige Verbindungen, so dass man ohne Umwege über öffentliche Verkehrsflächen von jedem Haus in jedes Haus gelangen kann. Ohne viel Phantasie kann man sich vorstellen, zu welchem Verhängnis hier eine einzige beispielsweise verkeilte Brandschutztür führen kann.
Die Entfernung zwischen Feuerwache und Hotel liegt bei etwa 500 m.
Lage bei Eintreffen und erste Massnahmen
Um 5.01 Uhr wird die Nachrichtenzentrale/Rettungsleitstelle (NZ/RLS) der Feuerwehr Hameln über den Notruf 112 vom Nachtportier des „Dorint-Hotel“ mit dem Hinweis alarmiert, dass im Eingang des Hotels Polstermöbel brennen. Die zunächst an einen Routineeinsatz glaubenden Kräfte des ersten Abmarsches sehen sich jedoch kurz darauf einer Situation gegenüber, die zur umfangreichsten Rettungsaktion der Feuerwehr Hameln seit Kriegsende führt und für diese mittelstädtische Feuerwehr in vielem über das übliche Maß hinausgeht.
Die Hauptberufliche Wachbereitschaft (HWB) der Freiwilligen Feuerwehr Hameln rückt aufgrund der ersten, harmlos klingenden Meldung mit TroTLF 16, DLK 23-12 und RTW 1 um 5.02 Uhr in der kompletten Besatzungsstärke von nur 1/3 (!) aus.
Gleichzeitig wird der diensthabende Einsatzleiter (Brandmeister vom Dienst = BvD), Brandoberinspektor Günter Harries, in seiner Wohnung alarmiert.
Um 5.03 Uhr meldet der eintreffende Wachabteilungsführer (WAF) der HWB, Hauptbrandmeister Wilhelm Scharenberg, über ein 4-Meter-Handfunkgerät der NZ/RLS: „Foyer Dorint-Hotel brennt ! Menschenleben in Gefahr ! Nachalarmieren ! „
Aufgrund dieser Rückmeldung von der Einsatzstelle läßt der BvD die in der Feuerwache wohnenden 6 Feuerwehrangehörigen über „Hausalarm“ sowie den 1. Zug der Ortsfeuerwehr Hameln über Rundsteueranlage alarmieren und fährt mit dem ELW 1 zur Einsatzstelle.
Der BvD erkennt jedoch unmittelbar nach Verlassen seiner Wohnung über dem Hotel eine solche Rauchsäule, dass er noch während der Fahrt die zusätzliche Weisung erteilt, auch den 2. und 3. Zug der Ortsfeuerwehr Hameln zu alarmieren.
Bereits um 5.06 Uhr treffen die ersten acht Feuerwehrleute (SB) des Hausalarms sowie des 1. Zuges auf der Feuerwache ein und bekommen von der NZ/RLS den Auftrag, sofort die 2. Drehleiter (DL 30) zu besetzen.
Zwei Mitarbeiter der HWB, die im Feuerwehrhaus wohnen, besetzen als zusätzliche Disponenten die NZ/RLS.
Um 5.07 Uhr trifft der BvD an der Einsatzstelle ein und findet folgende Lage vor:
Das Hotelgebäude ist an allen Außenseiten sowie im Innenbereich äußerst stark verqualmt. Auf den Balkonen und an den Fenstern gestikulieren zahlreiche Menschen und rufen um Hilfe. Eine Rücksprache mit dem WAF der HWB und den vor Ort befindlichen Polizeibeamten sowie Inaugenscheinnahme ergeben, dass eine unbekannte Personenzahl gefährdet ist und mehrere Personen Anstalten machen, aus großer Höhe nach unten zu springen.
Weiter wird darauf hingewiesen, dass noch Personen in der im Keller befindlichen Bar sein könnten.
Der Nachtportier ist für die Feuerwehr zu diesem Zeitpunkt unauffindbar.
Im Erdgeschoss brennen die Hotelhalle und der Friseursalon in voller Ausdehnung.
Brandausbreitung über die Fenster zum ersten Obergeschoss ist gegeben. Durch die starke Wärmeentwicklung sind die Scheiben der für Rettungsaktionen vorgesehenen Flurfenster am Notausgang an der Strasse „164er-Ring“ bis zum dritten Obergeschoss bereits zerplatzt.
Je ein C-Rohr ist vom Haupteingang „Von-Dingelstedt-Strasse“ sowie von einem Nebeneingang am „164er-Ring“ aus unter umluftunabhängigem Atemschutz im Einsatz.
Der mitgeführte Wasservorrat im TroTLF 16 ist fast erschöpft, eine Wasserversorgung von Hydranten infolge der extrem geringen Mannschaftsstärke noch nicht aufgebaut.
Ein Erreichen der Auslösung für die Rauch- und Wärmeabzugsanlage ist wegen der Brandintensität durch die Hotelhalle nicht möglich und unterbleibt auch über den Notausgang, weil dieser, wie erwähnt, hinter den Ziersträuchen zunächst nicht gesehen wird.
Weitere Einsatzabläufe
Entschluss
Der BvD entschließt sich um 5.08 Uhr zu folgenden Massnahmen:
Am GW-Atemschutz wird ab 5.42 Uhr zentral unter der Leitung eines Zugführers der FF Hameln der Austausch von Atemluftflaschen durchgeführt. Zu diesem Zweck befährt der GW-Atemschutz die Falkestrasse entgegen der Einbahnrichtung und bezieht auf der Brücke zur Scharnhorststrasse in unmittelbarer Nähe zum Hotel seine Stellung.
In der Strasse „164er-Ring“ wird eine provisorische Verletztensammelstelle eingerichtet.
Zusammen mit dem Einsatzleiter der Polizei wird vorsorglich festgelegt, Hindernisse für Drehleitereinsätze (parkende Fahrzeuge, Abgrenzungspoller, Pflanzkübel) entfernen zu lassen sowie die Krankenhäuser telefonisch auf eine grössere Zahl verletzter Personen vorzubereiten.
Nach Rücksprache mit dem Oberstadtdirektor wird eine Sammelstelle für unverletzt Gerettete im nahen Rathaus eingerichtet. Decken für die Geretteten werden beim DRK angefordert.
Weiterhin wird ein städtisches Jugendheim vorsorglich zusätzlich für die Aufnahme von Geretteten und/oder zu evakuierenden Personen hergerichtet.
Von 40 im Hotel befindlichen Personen wurden vier über tragbare Leitern und 15 über Drehleitern gerettet. Zwei Personen (ortskundiges Personal) brachten sich aus dem Notausgang der Bar im Keller, zwei weitere über eine an der Fassade angebrachte Feuerleiter aus dem 8. Obergeschoß selbst in Sicherheit.
Zu erwähnen ist, daß mehrere Hotelgäste körperbehindert waren, was zu Erschwernissen bei der Rettungsaktion beitrug. Insgesamt wurden 9 Personen mit Rauchgasintoxikationen in die Hamelner Krankenhäuser eingeliefert, von denen die Mehrzahl schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder entlassen werden konnte.
Im Einsatz waren vor Ort insgesamt 76 Dienstkräfte (SB) der Feuerwehren, Notarzt, Krankentransportorganisationen einschließlich einem KTW der britischen Streitkräfte (Army Medical Services), 35 Beamte von Schutz- und Kriminalpolizei, der zuständige Brandschutzprüfer sowie Personal von Privatfirmen (z.B. diverse Abschleppunternehmer).
An Material waren im Einsatz: 21 Fahrzeuge der Feuerwehren einschließlich vier Hubrettungsgeräten, einem RTW und einem KTW sowie 42 Preßluftatmern, einem Be- und Entlüftungsgerät, zwei vierteiligen Steckleitern und einer dreiteiligen Schiebleiter; ferner ein RTW und mehrere KTW des DRK und eines Privatunternehmers.
Brandursache und Schadenhöhe
Die Brandursache konnte nicht ermittelt werden. Nach eigener Aussage kam der Nachtportier, nachdem er die Morgenzeitungen hereingeholt hatte, auf den Brand zu und alarmierte die Feuerwache.
Kurz vor der Brandentdeckung hatten die letzten vier Gäste die Bar im Keller über die Hotelhalle verlassen. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Gäste mit der Brandentstehung in Zusammenhang zu bringen sind.
Zunächst erschien es unerklärlich, daß der Brand nach kurzer Zeit (schätzungsweise 20 Minuten) einen derartigen Umfang annehmen und eine so verhängnisvolle Verqualmung herbeiführen konnte. Brandversuche mit den in der Eingangshalle unter den Ledersitzgruppen verwendeten Teppichen (Greiferware mit Langflor, Polmaterial aus Polyacryl = 47,5 %, Kette aus Flachs = 2,4 % und Baumwolle = 5 % sowie Schußmaterial Jute = 45,1 %) ergaben jedoch in kürzester Zeit eine so frappierende Brandintensität, daß sich schon alleine daraus die schnelle Brandausbreitung über die gesamte Eingangshalle erklären könnte.
Die Schadenhöhe (Brandschaden, Sanierung der Stahlbetonkonstruktion, Renovierung) ohne Betriebsausfallschaden beläuft sich auf rund 3,5 Millionen DM. (heute: 1.789.522 €)
Das Hotel wurde am 15. Juni 1983 wieder in Betrieb genommen. Unter den durchgeführten brandschutztechnischen Verbesserungen sind u.a. erwähnenswert: Einwandfreie Ausführung des vorgenannten Installationsschachtes, Unterteilung aller Obergeschossflure in Rauchabschnitte, Abschottung des Frisörsalons im Erdgeschoß gegen die Eingangshalle, Optimierung des durchgehenden Treppenraumes, teilweiser Ersatz von Pflanzkübeln durch von der Feuerwehr entfernbare Pfähle.
Abschließend sei erwähnt, daß die Feuerwehr in diesem Falle ausnahmsweise von der Kardinalregel „Menschenrettung geht vor Brandbekämpfung“ abweichen mußte, weil in der Erstphase ein Nebeneinander von Leitermanövern und Brandbekämpfung wegen der geringen Personalstärke unmöglich war, andererseits eine weitere Brandausweitung aber die Hotelgäste zusätzlich schwerstens gefährdet hätte.
Übrigens verbot sich auch der Einsatz von Sprungrettungsgeräten nicht nur wegen der Personalnot, sondern auch wegen der großen Sprunghöhen und der terrassenförmigen Bauart des Hotels.
Hauptbericht:
Brandoberamtsrat a.D. Günter Harries (HWB)
(1983 im Rang eines Brandoberinspektors als stv. Amtsleiter der Hauptberuflichen Wachbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr Hameln tätig und am Brandtag der diensthabende Brandmeister vom Dienst [BvD] und Gesamteinsatzleiter)
Ergänzungen:
HBM Bernhard Mandla (HWB)
(1983 im Rang eines Feuerwehrmannes des 1. Zuges der Freiwilligen Feuerwehr Hameln tätig. Am Brandtag mit dem ersten nachrückenden Fahrzeug (DL 30) als 1. Angriffstrupp im Innenangriff zur Menschenrettung und Brandbekämpfung als A-Truppmann eingesetzt)