In den frühen Morgenstunden des 3. März 2002 kommt es infolge einer vorsätzlichen Brandstiftung im Industriegebiet „Süd“ zu einem Feuer, das in seiner Folge die mittelstädtische Feuerwehr Hameln an ihre personellen und materiellen Grenzen führt.
Die Stadt Hameln weist im Jahre 2002 auf einer Gesamtfläche von 102,3 km² insgesamt 59.156 Einwohner auf.
Feuerwehr Hameln 2002
Die Freiwillige Feuerwehr Hameln mit ca. 99 aktiven Feuerwehrleuten (SB) in 4 Zügen verfügt über eine ständig besetzte Feuerwache direkt an der Peripherie der historischen Altstadt mit 19 Einsatzfahrzeugen an diesem Standort. Hier sind die Hauptberufliche Wachbereitschaft (HWB) sowie die Züge 1 – 3 der FF Hameln stationiert.
Ein weiteres Feuerwehrhaus mit 3 Fahrzeugen befindet sich im 4 Kilometer entfernten Ortsteil Hameln-Rohrsen (4. Zug).
Seit 1945 existiert die HWB mit insgesamt 34 Bediensteten in drei Wachabteilungen für die Bereiche Brandschutz, Hilfeleistung und Rettungsdienst, die jeweils in 24-Stunden-Schichten ihren Dienst versieht.
Die Nachrichtenzentrale/Rettungsleitstelle (NZ/RLS) auf der Feuerwache ist ständig mit einem Disponenten der HWB, ebenfalls im 24-Stunden-Dienst besetzt.
Die Alarmierung der HWB im Berichtsjahr erfolgt über Wachalarm, die der Freiwilligen Feuerwehr über analoge und digitale Meldeempfänger sowie Alarmwecker (Rundsteueranlage über das Lichtnetz). Sirenen gibt es in der Ortschaft Hameln nicht mehr.
Die Entfernung vom Brandobjekt zur Feuerwache Hameln beträgt circa 800 Meter.
Objekt
Bei dem Brandobjekt handelt es sich in erster Linie um drei aneinandergereihte Gebäudeteile der ehemaligen „Hauptgenossenschaft Hannover“, Aussenstelle Hameln, an der Ruthenstrasse 10. Hierbei handelt es sich ausschließlich um ehemalige Getreidespeicher, die in den vergangenen Jahren von unterschiedlichsten Nutzern für ihre Zwecke verwendet und dazu entsprechend umgebaut worden waren.
Das größte, nördlich gelegene Gebäude (2.260 m²) ist eine 2-geschossige Halle, Baujahr 1900, mit Umfassungswänden aus Backstein und einer inneren, reinen und sehr massiven Holzkonstruktion, um große Flächenlasten aufnehmen zu können. Es wird als „Speicher II“ bezeichnet.
Das mittlere der drei Gebäude (348 m²) ist als 4-geschossiges Speichergebäude mit einer Gesamtnutzfläche von 1.220 m² aus einer Eisenbeton-Skelettkonstruktion im Jahre 1923 direkt an der alten Halle errichtet worden. Die stabile Dimensionierung der Tragwerke erlaubte ursprünglich auch hier eine flächendeckende, horizontale Lagerung des Getreides, was später durch den Einbau von Betonkammern auf senkrechte Silozellen umgestellt wurde.
Das jüngste, südlichste der drei Gebäude ist 1954 in Stahlbeton-Skelettbauweise ähnlich wie das Mittelgebäude dort direkt angebaut worden, jedoch in weitaus besserer Qualität. Auch hier wurde, wie im gesamten Gebäudekomplex, Getreide eingelagert. Dieses Gebäude, das nur drei Geschosse aufweist, verfügt über eine Grundfläche von 524 m² und eine Gesamtnutzfläche von 1.600 m².
Das mittlere sowie südlichste Gebäude wird im folgenden Bericht zusammenfassend als der „Speicher I“ bezeichnet.
Diese Gebäudeteile im Hafenbereich sind bereits von der „Jugendwerkstatt Hameln“ aufgekauft worden und sollen nach umfangreichen Umbauten einer neuen Verwendung zugeführt werden (Diverse Werkstätten, Bürogebäude, Cafe, Möbellager, Tischlerei, Sozial- u. Nebenräume für circa 180 Jugendliche).
Die „Jugendwerkstatt Hameln“ ist eine diakonische Einrichtung des Ev.-luth. Kirchenkreises Hameln-Pyrmont.
Bei dem Gebäudekomplex „Ruthenstrasse 8 - 10“ handelt es sich also um ein Wohnhaus
(204 m²), eine Garagenanlage ( 238 m²), den Kraftfahrzeug-Meisterbetrieb „Autoteile Schmidt“ (715 m²), einen ehemaligen Getreidespeicher (Speicher II / 2.260 m²) sowie zwei zusammenhängende Lagergebäude (Speicher I / 872 m²).
Die KFZ-Werkstatt ist in Stahlskelettbauweise, ohne Existenz einer entsprechenden brandschutztechnischen Abtrennung, an den Speicher II direkt angebaut worden und weist strassenseitig große Glasflächen auf.
Wohnhaus und KFZ-Bürogebäude sind in massiver Bauweise erstellt und stehen wiederum mit der KFZ-Werkstatt in direkter Verbindung.
Vom Feuer unmittelbar betroffen sind in der Brandnacht insgesamt 2.975 m² bebaute Fläche unterschiedlicher Art und Nutzung.
Durch Brandausbreitung, Hitzestrahlung sowie Funkenflug sind allein schon auf dem vorgenannten Areal 4.289 m² bebaute Fläche sowie ein Baukran gefährdet..
Bei diesem Baukran handelt es sich um einen ca. 53,9 m hohen, sogenannten „Stadt-Kran“ („City-Crane“), der an der Mastspitze ein 36,8 Meter langes Drehteil besitzt, welches aus einem Schwenkteil und einem Gegenausleger besteht.
Diese „Stadtkräne“ verfügen über eine K-Mastkonstruktion mit Einzelelementen für stapelbare Masten. Der Zusammenbau dieser Elemente geschieht durch abgestufte, kreuzförmige Bolzen und Bolzeneintreiber auf jeder Verbindungsstufe. Das Gesamtgewicht dieses auf dem Gelände fundamentierten Baukrans beträgt ca. 18.000 kg.
Wetterlage
Temperatur 1° Celsius; trockene Witterung; leichter Süd-West-Wind
Alarmierung
Um 4.34 Uhr erhält die Nachrichtenzentrale/Rettungsleitstelle (NZ/RLS) der ständig besetzten Feuerwache in Hameln über den Notruf 112 von einem Anwohner der Ruthenstrasse 11 die erste von über 60 telefonischen Feuermeldungen zu diesem Schadenereignis.
Der Anrufer teilt mit, daß „der Dachstuhl der Hauptgenossenschaft an der Ruthenstrasse lichterloh brennt !“
Da dem Disponenten in der NZ/RLS der Meldende sowie das Brandobjekt persönlich sehr gut bekannt sind, da er selbst in unmittelbarer Nähe („Am Hafen“) zum Brandobjekt wohnt, entschließt er sich laut Alarm- und Ausrückeordnung (AAO) sofort zu dem Alarmstichwort: „Feuer 03 groß, Menschenleben in Gefahr“.
Er löst deshalb noch in derselben Minute den wachinternen Feueralarm für die diensthabende Wachabteilung 2 sowie den „Hausalarm“ für die fünf Bewohner des Wohnhauses der Feuerwache aus und alarmiert parallel über den Einsatzleitrechner zwei Züge ( 1. und 2. Zug) der Freiwilligen Feuerwehr nach.
Bei der mit der NZ/RLS per Direktleitung verbundenen Feuerwehr-Einsatz-Leitstelle/Rettungsleitstelle (FEL/RLS) des Landkreises Hameln-Pyrmont fordert er darüber hinaus einen zusätzlichen Rettungswagen (RTW) des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sowie den Notarzt Hameln mit dem Notarzt-Einsatz-Fahrzeug (NEF) an.
Grund für diese Maßnahme ist die Kenntnis des Disponenten um das an die Hauptgenossenschaft direkt angebaute Wohnhaus „Ruthenstrasse 8“ mit einer darin wohnenden, kinderreichen Familie.
Bedingt durch die nachtschlafende Zeit muß davon ausgegangen werden, daß sich die Familie komplett zu Hause aufhält und noch nichts von dem Brand bemerkt hat.
Anfahrt
Der mit TLF 16/25, DLK 23-12 und RTW 1 um 4.35 Uhr mit einer Besatzungsstärke von 1/6 ausgerückte Löschzug der Hauptberuflichen Wachbereitschaft (HWB) erkennt schon auf der Anfahrt riesige Flammen sowie eine immense Rauchentwicklung im Bereich des Hafens. Darüber hinaus fliegen große, brennende Teerpappenteile über die Anfahrtstrasse des Löschzuges und weisen auf ein besonderes Schadenereignis hin.
Daher erhöht der anfahrende Wachabteilungsführer (WAF) der HWB, HBM Bodo Kauert, noch vor Erreichen der Einsatzstelle um 4.36 Uhr das Alarmstichwort auf „Nachalarmierung 2“, d.h. Vollalarm für die gesamte Ortsfeuerwehr Hameln.
Die NZ/RLS alarmiert daraufhin zusätzlich folgende Kräfte:
Die Feuerwehrleute des „Hausalarm“ sind um 4.35 Uhr mit dem zweiten TLF 16/25 und einer Besatzungsstärke von 1/3 (SB) abgerückt und treffen um 4.37 Uhr am Brandobjekt ein.
Die NZ/RLS ist von diesem Zeitpunkt an mit einem zweiten hauptberuflichen Disponenten aus dem Wohnhaus der Feuerwache besetzt.
Lagefeststellung
Die erste Erkundung des WAF der HWB um 4.36 Uhr ergibt folgende Lage:
In der Zeit von 4.38 - 4.43 Uhr erreicht die Polizei Hameln mit drei Fahrzeugen den Brandort und sperrt den gesamten Einsatzstellenbereich für den öffentlichen Fahrzeugverkehr.
Um 4.44 Uhr fordert die Polizei einen Abschleppwagen an, um parkende Fahrzeuge aus dem gefährdeten Bereich der Ruthenstrasse zu evakuieren.
Um auf der Feuerwache eine personelle und materielle Reserve für weitere Einsätze in der Kernstadt vorhalten zu können, wird um 4.46 Uhr von der NZ/RLS eigenverantwortlich die Freiwillige Feuerwehr Halvestorf (Stützpunkt) mit jeweils einem TLF 16/25, LF 8 und MTW alarmiert.
Nachdem die NZ/RLS durch diverse Funk-Rückmeldungen von der Einsatzstelle erfahren hat, „daß dringend weitere Tanklöschfahrzeuge benötigt werden, da sich das Feuer rasend schnell ausbreitet“, alarmiert die NZ/RLS wiederum eigenverantwortlich um 4.50 Uhr zusätzlich die Freiwillige Feuerwehr Unsen mit jeweils einem TLF 16/25, TSF und MTW.
Um 4.49 Uhr trifft der Leiter der HWB, Brandoberamtsrat Andreas Zerbe, mit dem KdoW-AL am Brandort ein, läßt sich vom WAF der HWB in die Lage einweisen und übernimmt ab 4.52 Uhr verantwortlich die Einsatzleitung.
Das Wechsellader-Trägerfahrzeug (WLF 1) hat zwischenzeitlich den AB-Sonderlöschmittel abgesattelt, von der Feuerwache den AB-Einsatzleitung aufgenommen und diesen als "Örtliche Einsatzleitung" auf dem Gelände der "Kampffmeyer Mühlen GmbH" an der Ruthenstrasse positioniert.
Die FF Unsen (1/11) fährt ab 4.58 Uhr mit ihren drei Fahrzeugen direkt die Einsatzstelle an und unterstützt die Hamelner Feuerwehrleute bei der Brandbekämpfung.
Massnahmen vor Ort
Abschnittsbildung
Es werden durch den Leiter der HWB zwei Einsatzabschnitte gebildet:
Abschnitt 1: Brandbekämpfung und Wasserversorgung im weserseitigen Bereich des Hafenbeckens/Hafenbahn und Fernwärmeleitung
Hier werden zwei LF 8, 3 TS 8/8 und ein SW 2000 zur Wasserversorgung und Brandbekämpfung eingesetzt.
Abschnittsleiter: HBM Ralf Fuhrmann
Abschnitt 2: Brandbekämpfung im Bereich der „Ruthenstrasse“.
Hier werden unter anderem 3 TLF 16/25, 2 LF 16/12 und 2 DLK 23-12 mit Wenderohren eingesetzt.
Abschnittsleiter: EHBM Thomas Blencke
Weiterer zeitlicher Einsatzablauf
Fazit
Die schnelle Alarmierung aller in Hameln verfügbaren Feuerwehrkräfte innerhalb der ersten 2 Minuten nach dem ersten Notruf stellt ein sehr ungewöhnliches Ereignis dar, macht jedoch deutlich, daß die in der Anfangsphase verantwortlichen Kräfte der NZ/RLS sowie der WAF der HWB sofort nach der Devise: „Nicht kleckern, sondern klotzen !“ handelten.
Auch die eigenverantwortliche Alarmierung der mit jeweils einem TLF 16/25 ausgestatteten Ortsfeuerwehren Halvestorf und Unsen erwies sich, abschließend betrachtet, als richtig.
Durch die geringe Entfernung von der Feuerwache zum Brandobjekt konnten sehr schnell die nachalarmierten Einheiten herangeführt werden.
So konnte man vor Ort erreichen, daß bedeutende Sachwerte (diverse Kraftfahrzeuge, Werkstattausstattung, Druckgasflaschen, Wohnungseinrichtung etc.) erhalten werden konnten.
Durch den massiven Einsatz von Trupps unter umluftunabhängigem Atemschutz in allen Etagen des Speichers I konnte ein komplettes Übergreifen der im Einsatzverlauf bis zu 80 Meter hohen Flammen auf diesen Gebäudeteil verhindert werden.
Dieses ist dadurch besonders hoch zu bewerten, da die Flammen bereits Teile dieses Speichers erfasst hatten.
Auch das Wohnhaus konnte komplett gerettet werden, obwohl der Brand sich bereits bis zur Dachhaut des Gebäudes ausgebreitet hatte.
Alle in der Nacht anwesenden sechs Bewohner konnten unverletzt gerettet werden.
Weiterhin gelang es durch massiven Wassereinsatz, die stark gefährdeten Wohnhäuser der Ruthenstrasse sowie der Nachbarstrasse Am Hafen zu schützen, trotz daß starkes Flugfeuer diese Arbeit nachhaltig behinderte.
Positiv zu bewerten ist auch, daß die Löschwasserversorgung zu keinem Zeitpunkt eine Schwierigkeit darstellte, da das Unterfluhydranten-System in der Anfangsphase des Einsatzes reibungslos funktionierte und im weiteren Einsatzverlauf die „Weser“ als offenes Gewässer für ausreichend Löschwasser sorgte.
Auch der vom Feuer bedrohte Baukran konnte wirkungsvoll geschützt werden, so daß dieser (nach gutachterlicher Prüfung) in der späteren Neubauphase der „Jugendwerkstatt Hameln“ ohne Einschränkungen eingesetzt werden konnte.
Die Zusammenarbeit der verschiedenen Feuerwehren sowie aller anderen eingesetzten Kräfte vor Ort kann als planvoll und gut bezeichnet werden. Die gemeinsame örtliche Einsatzleitung im AB-EL war schnell zur Stelle und unterstützte die NZ/RLS wirkungsvoll.
Die „Jugendwerkstatt Hameln“ hat zwischenzeitlich ihre neuen Räumlichkeiten bezogen und konnte große Teile der von der Feuerwehr bewahrten Bausubstanz nach Umbauarbeiten übernehmen.
Die völlig zerstörte Werkstatt von „Autoteile Schmidt“ mußte abgerissen werden. Die Ursache für diesen Totalverlust liegt sicherlich in der fehlenden brandschutztechnischen Abtrennung zum Speicher II. Die Firma hat ihren Firmensitz innerhalb Hamelns verlegt.
Der ehemalige Getreidespeicher (Speicher II), in dem der Brand gelegt worden ist, war bereits in der Brandnacht vollkommen zerstört worden und eingestürzt. Er wurde komplett abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Eingesetzte Kräfte