Die Odyssee eines Feuerlöschfahrzeugs

 
Die Geschichte eines verlorenengeglaubten Magirus-LF 25 von 1937 – 1961
 

Die letzten Kriegstage waren auch in der Rattenfängerstadt Hameln von Wirrwarr, Unsicherheit und Angst geprägt.
Schaufenster waren vernagelt, die Fenster der mittelalterlichen Fachwerkstadt waren mit Pappe und Tüchern verdeckt und ganze Straßenzüge zeigten an den Häuserfronten keine heile Scheibe mehr. Scherben und Schutt beherrschten das Straßenbild.
Fliegerangriffe und Artilleriebeschuß hatten 773 Häuser zerstört, 700 Einwohner obdachlos gemacht und 177 Menschen das Leben gekostet.
Überall waren Diebstähle und Plünderungen an der Tagesordnung. Fahrräder und Kraftwagen waren die begehrteste Beute von marodierenden und plündernden ehemaligen Kriegsgefangenen sowie ausländischen Fremdarbeitern, die nun mehr oder weniger ziellos durch die Straßen streiften.
Allerdings versuchten auch viele, möglichst rasch in ihr Heimatland zurückzukehren. Dazu bedienten sie vielfach der Beutefahrzeuge, die sie irgendwo vorfanden und für diesen Zweck nutzten.
So waren dieses auch Feuerwehr-Kraftwagen, die nicht bedingt durch Motorschäden, Treibstoffmangel, Reifenschäden oder Tieffliegerangriffe irgendwo ihrem Schicksal überlassen worden waren.
Gerade in den letzten Kriegstagen war nämlich versucht worden, die wertvollen Feuerwehrfahrzeuge vor dem Zugriff der Alliierten in Sicherheit zu bringen. Feuerschutzkommandanten und Kreisleitungen gaben vielfach die unvorstellbaren Befehle, dass alle Feuerwehrleute mitsamt allen Fahrzeugen ihre Städte zu verlassen hätten, die demzufolge fortan schutzlos ohne einen abwehrenden Brandschutz auskommen mussten.
In der Nacht vom 27. zum 28.Februar 1945, einen Tag vor der Besetzung der Stadt Mönchengladbach (damals: München-Gladbach), setzten sich die 1., 3. und 5. Bereitschaft mit allen Fahrzeugen nach Recklinghausen und Castrop-Rauxel in Marsch, während die 2. Bereitschaft den Feuerschutz der Stadt übernahm. Am folgenden Tage aber rückte auch diese nach Recklinghausen ab, wo nun eine Verteilung der Bereitschaften je zur Hälfte auf die Städte Gelsenkirchen und Bochum erfolgte. Die Formationen zogen sich infolge des Vorstoßes der Alliierten schließlich in den Raum Lemgo/Hannover zurück und wurden am 7. April 1945 aufgelöst. Eine dieser Formationen landete schließlich in der Nähe von Hameln, etwa 50 Kilometer von Hannover entfernt. Nach halbtägiger Internierung war es den Mannschaften mit Hilfe der amerikanischen Militärbehörde möglich, nach Mönchengladbach zurückzukehren.
Allerdings mußten diese Einheiten zwischenzeitlich den Verlust einiger ihrer Feuerlöschfahrzeuge hinnehmen.
 
In der von Mönchengladbach rund 250 Kilometer entfernten Stadt Hameln gab die Kreisleitung der NSDAP am 5. April 1945 den Geheimbefehl an die Feuerwehr, ihre Stadt mit allen Fahrzeugen in Richtung Haldensleben bei Magdeburg unverzüglich zu verlassen.
Auch hier hätte die Stadt ohne Brandschutz auskommen müssen, doch die Hamelner Feuerwehrleute verweigerten diesen unsinnigen Befehl und versteckten ihre Fahrzeuge in und um Hameln, um ihre Heimatstadt nicht im Stich lassen zu müssen.
So ist es auch zu erklären, dass ein Großes Löschgruppenfahrzeug (GLG), auch Kraftspritze 25 (KS 25) oder Löschgruppenfahrzeug 25 (LF 25) genannt, im Mai 1945 in der Gemeinde Hemmendorf (heute: Flecken Salzhemmendorf/ Landkreis Hameln-Pyrmont) auftauchte, nachdem französische Zwangsarbeiter das Fahrzeug der Feuerschutzpolizei Mönchengladbach dort nach einer Panne, im Strassengraben liegend, zurückgelassen hatten.
Der Gemeindebrandmeister Hemmendorf wandte sich also an den Hamelner Kreisbrandmeister Wilhelm Kaiser, da er „mit dem Fahrzeug nichts anzufangen wusste und es für die dortigen Verhältnisse zu schwer war“. Nach Rücksprache Kaisers mit dem britischen Oberleutnant Ridley, dem zuständigen Ansprechpartner für Feuerwehr- und Ordnungspolizeiangelegenheiten bei der britischen Militärverwaltung in Hameln, wurde festgelegt, das Löschfahrzeug am 26. Mai 1945 zur Feuerwache Hameln abschleppen zu lassen.
„Das Fahrzeug“, so der Wortlaut des damaligen Schriftverkehrs, „war vollkommen ausgeschlachtet, Armaturen, Geräte und Leitern fehlten, das Verdeck war undicht, das Dach verbeult, Türgriffe nicht vorhanden, das Schaltbrett im Führerhaus herausgenommen, die Scheinwerfer waren ausgebaut und die elektrischen Leitungen aus dem Fahrzeug herausgerissen. Es fehlten weiter die gesamten Vorderräder sowie das Reserverad und auch äußerlich machte das Fahrzeug einen trostlosen Eindruck.“
Offensichtlich waren die Türbeschriftungen (Polizeihoheitszeichen mit Hakenkreuz; Beschriftung „Feuerschutzpolizei München-Gladbach“) von den ehemaligen französischen Zwangsarbeitern oder anderen Angehörigen der alliierten Siegermächte bewusst und symbolisch unkenntlich gemacht geworden, so dass die Herkunft des Fahrzeugs oberflächlich nicht mehr nachzuvollziehen gewesen war.
Trotz aller Widrigkeiten, die sich noch durch den Besitz dieses „neuen“ Fahrzeugs ergeben sollten, erhielt die Freiwillige Feuerwehr Hemmendorf bei dieser Gelegenheit eine „Selve“-Kraftspritze TS 8 mit TS-Anhänger als Dauerleihgabe für den „guten Tip“ von der Feuerwehr Hameln zur Verfügung gestellt.
Bei dem Löschfahrzeug, das sich nun plötzlich im Besitz der Hamelner Wehr befand, handelte es sich einen Magirus M 40 S mit einer Motorstärke von 110 PS. Der Löschwasserbehälter fasste 1.500 Liter, die Pumpenleistung betrug 2.500 l/min.
Trotz aller Versorgungsengpässe, die die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre beherrschten, gelang es der im Juli 1945 auf Weisung der britischen Militärregierung aufgestellten Hauptberuflichen Wachbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr Hameln, dieses imposante Löschfahrzeug wieder instandzusetzen, auszurüsten und seine Einsatzbereitschaft auf Dauer zu erhalten.
Wegen der ungeklärten Besitzverhältnisse „des von der Militärregierung als Wehrmachtsgut zugewiesenen Kraftfahrzeuges“ sollte das LF 25 auf Weisung von KBM Kaiser zu keinem Zeitpunkt in Hameln zugelassen werden. Dieses war auch die offizielle Begründung für die Hamelner Feuerwehrleute, die sich verständlicherweise über die ungewöhnliche Behandlung und das „Versteckspiel“ rund um dieses Fahrzeug wunderten.
Der charismatische Kreisbrandmeister, so die umfangreichen Recherchen des Verfassers, hatte jedoch spätestens Ende 1945 die Gewissheit, mit einer Anmeldung „schlafende Hunde zu wecken“ und das LF 25 wieder abgeben zu müssen.
Oberbrandrat Fritz Heimberg, der namhafte Inspekteur des Feuerlöschwesens, protokolliert nämlich am 11.08.1945 anläßlich einer angeordneten Dienstreise nach Hameln für seinen Arbeitgeber, die Militärregierung von Deutschland (Region Hannover, Detachment 229) unter anderem folgenden Sachverhalt: „Ferner befinden sich noch ein reparaturbedürftiges LF 25 der Stadt München-Gladbach (...) im Gerätehaus der Feuerwehr. Diese Geräte sollen in der nächsten Zeit wieder ihrem Bestimmungsort zugeführt werden.“ 
Um das Fahrzeug in diesen problematischen Nachkriegsjahren trotzdem einsetzen zu können, so Zeitzeugen, bediente sich Kaiser, unter Einbeziehung seines untergeordneteten Schirrmeisters, kurzerhand einer aus dieser Not geborenen List: Es wurde ein polizeiliches Kennzeichen verwendet, das sich offiziell (auch) an einem anderen Hamelner Magirus-Feuerwehrfahrzeug (Wagen-Nr. 11) befand. Da die enorme Pumpenleistung des LF 25 für das damals noch kriegsbeschädigte Hydrantennetz der Hamelner Altstadt ohnehin viel zu hoch gewesen wäre, wurde das Fahrzeug bei innerstädtischen Einsätzen nur in allergrößter Not oder allein als Ersteinsatzfahrzeug der Wachbereitschaft eingesetzt, so dass der „Trick“ mit den doppelt vergebenen Nummernschildern nicht offensichtlich werden konnte. Das LF 25 wurde weder in den vorgeschriebenen Monatsberichten an die Alliierten, noch in den Bestandslisten der FF Hameln offiziell erwähnt oder geführt. Auch zu Übungs-; Alarmübungs- und Ausbildungsdiensten der Freiwilligen Feuerwehr wurde das Fahrzeug nicht verwendet. Für Einsätze standen jedoch mit dem Brandmeister Robert Bode und dem Oberfeuerwehrmann Fritz Hartmann zwei besonders geschulte Maschinisten der Hauptberuflichen Wachbereitschaft zur Verfügung.
So ging demzufolge auch der damalige Hamelner Oberstadtdirektor Wilke, der ohnehin ein eher frostiges Verhältnis zu Kaiser hatte, in seinem Schreiben vom 2.4.1953 an die BF Mönchengladbach ahnungslos davon aus, dass das LF 25 nach seiner Instandsetzung „nicht zum Einsatz gekommen ist“.
Sehr wohl wurde das Fahrzeug jedoch nach seiner vollständigen Reparatur auch bei überörtlichen Einsätzen im Rahmen der nachbarschaftlichen Löschhilfe vor allem zur Wasserentnahme aus offenen Gewässern eingesetzt, wobei die große Pumpenleistung regelmäßig ein Anstauen kleinerer Gewässer notwendig machte. Durch drei noch existierende, damals aktive Feuerwehrmänner sowie nach Einsichtnahme in die Wachbücher der in Frage kommenden Jahre, konnten insgesamt 91 Einsätze mit dem LF 25 zweifelsfrei nachgewiesen werden. Hier zwei besonders erwähnenswerte Brandeinsätze: Zwei Tage andauernder Flächenbrand im Braunkohlentagebau der Humboldtwerke in Wallensen am 27.10.1949 ab 1.35 Uhr sowie beim Mühlenbrand (Pferdefutter-Silo und Lagerhalle) der Hamelner Firma „Granum“ in der Wangelister Strasse am 07.11.1949 von 4.40 – 9.30 Uhr. Hier wurden ab 4.50 Uhr alle Fahrzeuge der Hamelner Wehr mit 5 B-und 7 C-Rohren eingesetzt. Das LF 25 hatte die Aufgabe, die Wasserversorgung aus dem Flüsschen Humme sicherzustellen. Beide A-Saugleitungsanschlüsse und alle 6 B-Abgänge waren bei diesem Einsatz auf der Hummebrücke in Betrieb.
Am 20. Januar 1953 trat der neugewählte Kreisbrandmeister Kurt Kater die Nachfolge seines aus Altersgründen ausgeschiedenen Vorgängers an, und übernahm fortan verantwortlich die Hamelner Wehr.  Der rechtschaffende KBM Kater bekam nach einiger Einarbeitungszeit Wind von dem „Nummernschildtrick“, verlieh seiner Missbilligung darüber deutlich Ausdruck und wies die Verantwortlichen an, dieses Fahrzeug unverzüglich ordnungsgemäß anzumelden. Bei diesem Versuch wurde der Stadt Hameln im März 1953 erwartungsgemäß die Zulassung des LF 25 als städtisches Feuerwehrfahrzeug verweigert, da sich das Fahrzeug auf der offiziellen Suchliste verschollener Feuerwehrfahrzeuge befand.
Hintergrund: Nach Kriegsende wurden von den Städten und Gemeinden umfangreiche Feuerlöschfahrzeug-Suchmeldungen verschickt, um ihre wertvollen, in den Kriegswirren verschollenen Fahrzeuge und Gerätschaften wiederzuerlangen.
Auch die Stadt Mönchengladbach, die nahezu sämtliche städtischen Feuerwehrfahrzeuge durch Kriegseinwirkungen verloren, und mit großen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau ihrer Feuerwehr zu kämpfen hatte, versuchte ihr Glück mit solchen Suchmeldungen bei den Strassenverkehrsämtern der damaligen Evakuierungsräume.
Acht Jahre nach Kriegsende konnte nun endlich die Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde Hameln an die BF Mönchengladbach ergehen, dass ihr Fahrzeug wiedergefunden worden war.
Dieses ist auch die Erklärung dafür, warum die BF Mönchengladbach bei ihren Anfragen an die diversen Kraftfahrzeug-Zulassungsstellen im Bundesgebiet bis zum Jahre 1953 keinen Bescheid über den Verbleib ihres Fahrzeugs erhalten hatte.
Am 24. April 1953 fand schließlich ein Besichtigungstermin in Hameln statt, der ergab, dass sich das Fahrzeug in „gutem und betriebsbereitem Zustand“ befand.
Hierbei wurde vereinbart, dass man der Hamelner Wehr das LF 25 als Ersatzfahrzeug wegen Reparaturarbeiten an einem LF 15 noch bis zum 15. Juni d.J. überlässt. In dieser Zeit wurde das Fahrzeug bei vier Brandeinsätzen im Stadtgebiet Hameln eingesetzt.
Die Feuerwehr Mönchengladbach erstattete der Stadt Hameln vertragsgemäß einen Instandsetzungsbetrag in Höhe von nur DM 2000.-, obwohl die Hamelner Feuerwehr inzwischen weit mehr als 7000.- DM  in Reparaturmaterial sowie  eine 7-fache Bereifung investiert hatte.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang sicher auch eine klärende Antwort auf die Frage, wo damals über Jahre hinweg die Instandsetzungs- und Unterhaltungskosten sowie rationierter Diesel für ein Fahrzeug „abgezweigt“ worden sind, das in Hameln amtlich nicht zugelassen und eingesetzt wurde.
Der geringe Rückführungsbetrag wurde in Mönchengladbach übrigens mit freudiger Verwunderung zur Kenntnis genommen.
Am 18. Juni 1953 wurde das LF 25 schließlich von Brandrat Adams und Oberbrandmeister Kaumanns von der BF Mönchengladbach in Hameln übernommen und zurückgeführt. Bei der Abfahrt bekamen sie als Abschiedsgeschenk noch eine fabrikneue Kühlerhaube sowie einen neuen, gepolsterten Motorhaubenüberzug überreicht.
In seinem Abschlußbericht schreibt Brandrat Brauns am 22. Juni 1953, dass man die teils bergige Strecke von fast 300 Kilometern ohne Störungen hatte zurücklegen können, da das Fahrzeug „einsatzbereit und in bester motorischer Verfassung“ gewesen sei.
Kurioserweise hatte also ausgerechnet ein Fahrzeug acht Jahre lang wesentlichen Anteil an der Sicherstellung des abwehrenden Brandschutzes im gesamten Kreisgebiet Hameln-Pyrmont - vor allem im Rahmen der nachbarschaftlichen Löschhilfe durch die Hamelner Feuerwehr – das in den  jeweils amtlichen und aktuellen Bestandlisten der Hamelner Wehr niemals existent gewesen war.


 
Quellen:
  1. Diverser Schriftverkehr zwischen der Berufsfeuerwehr Mönchengladbach und der Feuerwehr Hameln aus dem Jahre 1953
  2. Verwaltungsbericht der Stadt Mönchengladbach (01.04.1945 – 31.03.1948)
  3. Marschbefehl des Kommandos der Feuerschutzpolizei Mönchengladbach vom März 1945
  4. Schriftverkehr der BF Mönchengladbach vom 08. und 21.08.1961 sowie 20.09.1961
  5. Zulassungskarte Nr. XVIII für das LF 25 vom 09.12.1937
  6. „Hameln nach 1945-Stadtentwicklung-„ ; Ilse und Heinrich Kalvelage; Verlag C.W.Niemeyer, Hameln 1995
  7. Diverser Schriftverkehr zwischen der alliierten Militärbehörde und der Feuerwehr Hameln aus dem April und Mai 1945
  8. Geheimbefehl (Marschbefehl) der NSDAP-Kreisleitung an die Hamelner Feuerwehr vom 05.04.1945, der sich als Original noch dort im Archiv befindet
  9. Brief des Inspekteurs des Feuerlöschwesens, Heimberg, vom 11.08.1945 an die Militärbehörde in Hannover.
  10. Benzin-und Dieselbedarfsmeldungen für die Fahrzeuge; Einzelnachweise für  Kilometerleistung und Treibstoffverbrauch während der Rationierung.
  11. Wachbücher der FF Hameln aus den Jahren 1945, 1946, 1947, 1948, 1949, 1950, 1951, 1952 und 1953.
  12. Privatsammlung des Verfassers

Mein besonderer Dank gilt der Berufsfeuerwehr und dem Stadtarchiv Mönchengladbach sowie den Hamelner Zeitzeugen für das große und geduldige Engagement, das aufgewendet werden musste, um langsam ein Puzzleteil nach dem anderen zu einer kompletten historischen und bebilderten Fahrzeuggeschichte zusammenfügen zu können.


   
Bernhard Mandla


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