Hameln/Port-au-Prince. Der Einsatz war hart, entbehrungsreich und gefährlich – dennoch sagt Reinhold Klostermann, Leiter der Interhelp-Medical-Task-Force, habe er sich gelohnt. „Wir konnten sehr vielen schwer verletzten und kranken Menschen helfen und einige von ihnen vor dem sicheren Tod retten können“.
Mehr als zwei Wochen war ein Expertenteam der heimischen Hilfsorganisation Interhelp in Haiti im Einsatz. Bei Temperaturen um 35 Grad unterstützten der Unfallchirurg Dr. Stefan Schindler (42) und die Lehrrettungsassistenten Bernhard Mandla (48) und Reinhold Klostermann (55) Ärzte, Schwestern, Pfleger und Sanitäter im Kampf um Leben und Tod. Bereits nach der Landung in Port-au-Prince wurden die ehrenamtlichen Helfer gefordert – ein Passagier hatte einen Herzinfarkt erlitten. Noch auf dem Rollfeld wurden die Wiederbelebungsmaßnahmen gestartet.
Hunderte Patienten mussten in den kommenden Tagen versorgt werden – Schusswunden, Trauma-Verletzungen, Infarkte, Blutvergiftungen, Infektionen und schwerste Durchfallerkrankungen galt es zu behandeln. „Manchmal haben wir wie am Fließband geschuftet. Nicht immer ist es uns gelungen, den Wettlauf mit dem Tod zu gewinnen“, sagt der Hamelner Berufsfeuerwehrmann Bernhard Mandla. „Aber oft waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort und konnten Leben retten.“
Vor allem der Einsatz in den Slums von Port-au-Prince verlangte den Helfern einiges ab. „Wir haben dort gearbeitet, wo niemand sonst arbeiten will, weil es dort gefährlich ist, weil es nach Fäkalien und Urin stinkt“, sagt Reinhold Klostemann. Im „Adwand-Lasaleni-Lazarett“, das im völlig verwahrlosten Stadtteil Cite Soleil liegt, haben die Interhelper inmitten von Müllbergen und Abwässern, Patienten versorgt. Kein Wunder, dass auch die heimischen Helfe von Montezumas Rache nicht verschon geblieben sind. „Die Arbeit ist erbarmungslos: Hitze, Dreck und Gestank sind unvorstellbar. Es ist, als würden wir in der Hölle arbeiten“, meldete Reinhold Klostermann per Mail an das Backoffice in Hameln.
Auch mehr als anderthalb Jahre nach dem Jahrhundert-Erdbeben, das die Hauptstadt schwer zerstörte und bei dem mehr als 300.000 Menschen den Tod fanden, geht der Wideraufbau von Port-au-Prince nur schleppend voran. „Der Schutt ist zwar weg, aber nur wenige Gebäude wurden bislang wieder aufgebaut“, sagt Klostermann. Unzählige Obdachlose lebten noch immer in Zeltstädten unter Plastikplanen und unvorstellbaren hygienischen Bedingungen. Dass sich Seuchen wie Cholera ausbreiten, verwundert die Helfer aus dem Weserbergland nicht.
„Diese Männer sind die Helden von nebenan“, sagt Alexander Prinz zu Schaumburg-Lippe. Der Chef des Bückeburger Fürstenhauses ist Schirmherr von Interhelp. „Das Team hat hervorragende Arbeit geleistet. Während des Urlaubs Dienst am Nächsten zu leisten, ist in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich“, lobt Interhelp-Vorsitzender Ulrich Behmann die Männer.
Der Einsatz gehöre zu den gefährlichsten, den Interhelp bislang weltweit durchgeführt habe. In der Tat waren die Interhelper vielen Gefahren ausgesetzt: Mord, Entführung, Dengue-Fieber, Malaria, Cholera und Typhus waren allgegenwärtig. „Wir sind keine Draufgänger, aber wir haben die Risiken gern auf uns genommen, um den Notleidenden zu helfen“, sagt Bernhard Mandla. „Wir wissen um die Gefahr in den Slums, aber wenn wir hier nicht helfen, hilft den Menschen hier keiner“, schreibt Reinhold Klostermann in seinem bebilderten Tagebuch, das auf http://www.wesio.de/user/Interhelp, zu lesen ist (siehe Blog und Medien).
Interhelp ruft zu Spenden auf. Geld kann auf folgende Sonderkonten eingezahlt werden:
Nr. 20313 bei der Sparkasse Weserbergland (BLZ 254 501 10), Nr. 33233 bei der Stadtsparkasse Hameln (BLZ 254 500 01) und Nr. 700 700 000 bei der Volksbank Hameln-Stadthagen (BLZ 254 621 60). Interhelp im Internet: www.interhelp.info
Anmerkung: Neben der Arbeit in den Slums sowie den Notfallaufnahmen zweier Kliniken, wurden haitianische Helfer an den Rettungswagen (RTW) ausgebildet, die sie von Spendern aus Spanien und den USA erhalten hatten. Hierzu gehörten unter anderem Themen wie: Lagerungsarten, Erhaltung der Vitalfunktionen mit vorhandenen medizinischen Geräten, Spine-Board, Schaufeltrage, Vakuummatratze, Absaugung und Beatmungstechniken. Die Ausbildung durch das Interhelp-Team erfolgte in englischer und französischer Sprache. Für die kreolische Sprache stand ein Dolmetscher zur Verfügung.
Auf besondere Einladung des Feuerwehrchefs der 2-Millionen-Stadt Port-au-Prince, konnte sich das medizinische Team auch einen Eindruck vom Feuerwehrwesen der Stadt machen. Die Hauptfeuerwache in der Nähe des völlig zerstörten Präsidentenpalastes ist durch das Erdbeben vom 12. Januar 2010 ebenfalls erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Grosse Teile des Gebäudes stehen der 30-Mann-Schicht im 24-Stunden-Dienst somit nicht mehr zur Verfügung. Neben einigen Kleinfahrzeugen sind zur Zeit lediglich auf den zwei Feuerwachen nur insgesamt vier Tanklöschfahrzeuge amerikanischer Bauart einsatzbereit. Das einzige Hubrettungsfahrzeug der Millionenstadt ist aufgrund elektronischer und hydraulischer Mängel außer Betrieb.
Die insgesamt 180 Frauen und Männer der Berufsfeuerwehr müssen im Einsatzfall teilweise mit Polizeifahrzeugen zum Brandort gefahren werden. Die Ausrüstung, Nomex II- Anzüge und Gallet-Helme, stammen von der Pariser Feuerwehr. Reservekleidung, besondere Hitzeschutzhauben und Atemschutzgeräte gibt es nicht mehr. Schläuche können weder gewaschen, geprüft oder vernünftig getrocknet werden.
Geld zum Wiederaufbau der Wache stehen zur Zeit noch immer nicht zur Verfügung. Seit dem Erdbeben hat der Feuerwehrchef aufgrund Platzmangels sein Büro in einem Einsatzleit-Geländewagen eingerichtet. Die hygienischen und arbeitstechnischen Bedingungen der Feuerwehrfrauen- und Männer sind als katastrophal zu bezeichnen. Sie rücken zu täglich mindestens zwei gemeldeten Bränden aus. Die meisten Brände in der unübersichtlichen und zum größten Teil zerstörten Stadt werden der Feuerwehr gar nicht gemeldet, da keine funktionierende und einheitliche Notrufnummer in Haiti existiert. Das gilt gleichermaßen auch für medizinische Notfälle. Unglücksfälle werden zumeist und auch nur sporadisch der Polizei mitgeteilt. Diese bringt die stets präklinisch unversorgten Patienten auf der Ladefläche ihrer Pick-Up-Streifenwagen dann zur nächsten Klinik oder einem Lazarett.
In den meisten Fällen versuchen sich die Bewohner jedoch selbst zu helfen, indem sie die Verletzten selbst zum Hospital bringen.
Beispiel: Während der RTW-Ausbildung haitianischer Helfer geschah in der Nähe der Klinik ein schwerer Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger einen Teilabriss seines rechten Beines erlitt.
Statt, wie in Deutschland üblich, der Rettungsdienst alarmiert wird und innerhalb kürzester Zeit die Versorgung des Patienten vor Ort übernehmen kann, wurde der Schwerverletzte von Passanten mit einer Schubkarre zum RTW gebracht. Dort wurde durch das deutsche Team sofort eine erste lebensrettende Versorgung durchgeführt. Das Bein des Mannes war jedoch aufgrund der widrigen Umstände und des enormen Zeitverlustes leider nicht mehr zu retten. Es musste amputiert werden.
Bernhard Mandla
OBM und LRA
Stadt Hameln
Abt. 27 Feuerwehr und Rettungsdienst
August 2011